6.
NÖ Landes-Musterobstmosterei in Kilb
Im
Gegensatz zu den anderen Landes Musterobstmostereien gibt
es über den Umfang der am 21. Oktober 1913 in Kilb eröffneten
Musterobstmosterei einige Informationen. Bereits im
Jahr 1907 begann Anton Sirninger mit der Produktion von Apfelchampagner
(Kohlenberg-Sekt). Im Jahr 1925 wurde die Mosterei um eine
"Beispiels-Kleinbrennerei" erweitert. Einige Zeitzeugen (bzw.
deren Nachkommen) können sich daran erinnern, dass in
der Mosterei eine Obstverarbeitung in großem Stil betrieben
wurde. An die Obstanlieferung per Bahn, die Verarbeitung von
aus dem Ausland importierten Zwetschken und die Lieferung
der verarbeiteten Produkte in großen Gebinden nach Wien
können sich noch einige aus Erzählungen ihrer Eltern
erinnern (Walter Sirninger, dessen Vater als Brennmeister
in der Mosterei tätig war und aus Erzählungen weiß,
dass im Dezember für etwa 4 Wochen Zwetschkenschnaps
gebrannt wurde; er selbst hat - ebenso wie Fritz Janker -
noch einen der letzten Obstbaukurse Mitte der 60´ er
Jahre in der Mosterei besucht; Leopold Wagner, der als Malergeselle
noch große Vorräte an Schnäpsen gesichtet
hatte; Josef Kasser, der als Bub das 250 hl Zementfass reinigen
musste, das nur durch eine kleine Öffnung an der Vorderseite
betreten werden konnte).
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Eine
Obstlagerkapazität von etwa 80.000 kg am Dach-boden
der Mosterei, eine tägliche Obstverarbeitungs-kapazität
von etwa 10.000 kg Obst und eine Mostlager-kapazität
von insge- samt 1000 hl im Keller weisen auf enorme
Verarbeitungsmengen hin.
Eine genaue Beschreibung der NÖ Landes-Musterobst-
mosterei enthält die Zeitschrift für die
Gesamtinteressen des Obstbaues „Der Obstzüchter“,
herausgegeben und redigiert von Josef Löschnig,
Jahrgang XII vom
10. Juni 1914:
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NÖ
Landes-Musterobstmosterei in Kilb (Originaltext):
"In
Würdigung der großen wirtschaftlichen Bedeutung
der Obstweinerzeugung und in Anerkennung der Notwendigkeit
zur Verbesserung in der Herstellung und Behandlung des Obstmostes
wurde mit Unterstützung des k.k. Ackerbauministeriums
seitens des niederösterreichischen Landesaus-schusses
im Sinne des Beschlusses des niederösterreichischen Landtages
in Kilb eine große Landes- Musterobstmosterei errichtet
und am 20. Oktober 1913 unter großer Beteiligung der
Interessenten eröffnet. Die Landes-Musterobstmosterei
Kilb ist auf denselben Prinzipien aufgebaut, wie die anderen
derartigen Unternehmungen des Landes. Das Land hat mit Herrn
Anton S i r n i n- g e r, Baumschulbesitzer und Obstzüchter,
einen Vertrag geschlossen, nach welchem sich dieser verpflichtet,
bei der Herstellung und Behandlung, sowie beim Verkaufe des
Obstweines genau den Weisungen der Fachorgane des Landes zu
folgen, entsprechende Räumlichkeiten für Kurszwecke
beizustellen, sodaß ein Musterbetrieb sowohl für
Schulzwecke, als auch für größere Privat-
und Handelsbetriebe vorgeführt werden kann. Seitens des
Landes wurde die Preßhauseinrichtung im Werte von rund
15.000 Kronen Herrn S i r n i n g e r leihweise
auf die Dauer des Vertrages beige-stellt und kann dann im
Sinne der im Vertrage festgesetzten Bestimmungen von ihn abgelöst
werden. Irgend einen Beitrag zur Her- stellung der Baulichkeiten
oder dergleichen wurde Herrn
S i r n i n g e r nicht gewährt. Die Baukosten
der Mosterei betrugen etwas über 50.000, die der Einrichtung
über 20.000 Kronen.
Die
Landes-Musterobstmosterei in Kilb hat den Zweck, die Obstweinerzeugung
in allen Teilen zu fördern und auf die ihr gebührende
Stufe zu bringen. Durch den schulmäßigen Betrieb
ist Gelegen-heit geboten, Kurse aller Art abzuhalten und so
einen Kreis tüchtiger Mosterzeuger heranzubilden. Durch
die Eröffnung eines größeren Handelsbetriebes
können Absatzgebiete gesucht werden und es kann der Segen
guter Obstjahre durch die Einlagerung großer Quantitäten
auf die mageren Jahre verteilt werden. Ferner ist aber auch
den Fachleuten Gelegenheit zu fachlicher Arbeit und Forschung
geboten, wodurch ebenfalls die praktischen Betriebe Nutzen
ziehen können.
Die
Mosterei Kilb ist aufgrund der neuesten Erfahrungen gebaut
und stellt infolgedessen einen modernen Mostereibetrieb dar,
wie es in Österreich wenige geben dürfte. Entsprechend
der Auf-stellung der Keltereimaschinen übereinander,
sind die Preßhaus- und Kellerräumlichkeiten in
drei Etagen gebaut. Unter dem Dache befindet sich der Obstlagerraum
mit einem Fassungsvermögen von 8 Waggon Obst. Das Obst
kann mit einem elektrisch betriebenen Aufzug bequem auf den
Lagerraum gebracht werden. Das Preßhaus stellt einen
4 m hohen, 8 m breiten und 24 m langen lichten Raum dar und
kann mit einem Wagen befahren werden. Unter dem Preßhause
ist der Keller angelegt; derselbe ist 24 m lang 6 m breit
und 3 m hoch. Im Vorkeller sind die verschiedenen Inventargegenstände
aufbewahrt; außerdem ist hier der Faßdämpfer
aufgestellt. Im Zwischenkeller ist ein Zementfaß mit
250 hl Fassungsraum aufgenommen; in den einem Nebenkeller
befindet sich die Apfelschaum- weinbereitung. Wie der Grundriss,
Fig. Nr. 35, zeigt, sind die Keltermaschinen in der Mitte
des Preßhauses angeordnet und bestehen aus: einer hydraulischen
Presse, die derart in den Boden versenkt und montiert ist,
daß die auf den Schienen laufenden Preßkörbe
unter die Presse geschoben und nach dem Pressen entfernt werden
können.
Fig.34.
Innenansicht des Preßhauses. 1. Hydraulische Presse,
2. Obstmahlmühle, 3. Gosse zum Befördern des
Obstes vom Lagerraum in die Waschmaschine, 4. Rinne von
der Mühle zur Presse, 5. Tresterzerkleinerungsmaschine,
6. Wasch-maschine, 7.
Anstell-bottiche, 8. Preßkörbe |
In
der Schienenanlage sind sechs Drehscheiben eingeschaltet,
sodass für die Aufstellung einer zweiten Presse
Raum geschaffen und die Bewegung der Preßkörbe
nach allen Seiten möglich ist. Die Presse
arbeitet mit einem Arbeitsdruck von 300 Atmosphären
und einem spezifischen Druck von 12 kg per cm²
Preßkorb-oberfläche. Der Antrieb erfolgt
automatisch durch eine elektrisch betriebene Wasserpumpe,
die derart konstruiert ist, daß sie bis 50 Atmosphären
Arbeitsdruck schnelles und von da ab, sich selbst einschaltend,
ein langsames, dafür aber ein stärkeres Pressen
bis zu 300 Atmosphären
gestattet. Beim Erreichen des höchstzu-
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lässigen
Arbeitsdruckes schaltet sich die Pumpe selbst aus, um sich beim
Nachlassen des Druckes jeder-zeit
wieder einzuschalten. Durch diese Einrichtung wird selbsttätig
ein gleichmäßig andauernder Druck erzielt. Die Presse
vereinigt deshalb alle Vorteile der alten Baumpressen, die mit
ihrem kontinuierlichen Drucke eine leichte Arbeitsweise besitzen
und gestattet außerdem ein leichtes und schnelles Arbeiten.
Die Höhe des Preß- wagens und -korbes zusammen beträgt
nur 90 cm, wodurch das Füllen und Entleeren der Körbe
sehr bequem durchgeführt werden kann. Das Pressen eines
Korbes dauert 22 bis 25 Minuten. Die Ausbeute beim Pressen über
diese Zeit hinaus ist derart gering, daß ein längeres
Pressen nicht zweckmäßig erscheint. Die Leistungsfähigkeit
der Presse beträgt rund einen Waggon Obst (10.000 kg) pro
Tag, wobei ein zweimaliges Pressen gerechnet wird.
Fig.35.
Grundriß der NÖ Landes-Musterobstmosterei
in Kilb
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Ober
der Presse an der Decke des Preßhauses befindet
sich die Obstmahlmühle. Dieselbe ist
nach Frankfurter System angefertigt, und besteht aus
zwei im Verhältnis 1 : 3 sich drehenden Mahlsteinen
und einem darüber gelagerten Vorschneider. Je nach
Bedarf wird das gemahlene Obst in die auf Schienen laufenden
Preßkörbe nach rechts oder links geleitet.
Der Elevator ist ein Paternosterwerk
und verbindet die Waschmaschine mit der Obst-
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mahlmühle;
hier wird das gewaschene Obst noch mit frischem Wasser abgebraust.
Die
Waschmaschine besteht aus einer im Wasser sich drehenden Trommel
mit mehreren hölzernen Schlagleisten. Das Obst wird entweder
im Preßhause in die Waschmaschine gegeben oder es läuft
durch eine schräge Rinne vom Lagerraum direkt zur Wäsche.
Die Tresterstöcklimaschine dient zur
Verarbeitung der ausgepreßten Trestern und besteht aus
einer Schnecke, die sich in einem Gehäuse dreht und die
Trester zu einer dicken Wurst formt. Die Anstellbottiche zum
Aufnehmenlassen der einmal ausgepreßten Trester laufen
neben dem Preßwagen auf Schienen.
Der Fußboden des Preßraumes ist betoniert und
nach einer bestimmten Seite geneigt, so daß ein Waschen
desselben bequem durchgeführt werden kann.
Die Wasserversorgung erfolgt automatisch; im Keller eine elektrische
Pumpe aufgestellt, die für das ganze Haus das Wasser
direkt aus dem Brunnen ohne Wasserreservoir liefert. Als Antriebs-maschine
für sämtliche Maschinen dient ein auf dem Boden
aufgestellter Elektromotor von 8 HP.
Im Keller unter der Presse befindet sich ein großer
Bottich, in welchem sich der von der Presse ablaufende Most
sammelt und absetzt. Nach zehnstündigem Lagernlassen
wird der obere Teil gesondert von dem unteren, in die Fässer
gezogen und solcherart ein mildes weinähnliches Produkt
erzielt.
Der Keller wurde von Herrn S i r n i n g e r neu
eingerichtet und mit Fässern von 10 bis 50 hl belegt.
Der Fassungsraum des ganzen Kellers beträgt samt Zementfaß
1000 hl.
Fig.36.
Längsschnitt durch die NÖ Landes-Musterobstmosterei
in Kilb. 1. Elektromotor, 2. Transmissionswelle, 3.
Waschmaschine, 4. Elevator,
5. Obstmahlmühle, 6. Rinne von der Obstmühle
zum Preßkorbe, 7. Hydraulische Presse, 8. Sammeltrichter,
9. Abfluß von der Presse in den Keller, 10. Tresterzer-zerkleinerungsmaschine,
11. Preßpumpe, 12. Rinne für
das Obst; neben der Tür Tresterstöcklimaschine.
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Im
Hochparterre ist ein geräumiges Kurszimmer mit
allem zur Unterrichtserteilung notwendigen Lehrbehelfen
eingerichtet.
Es sei noch bemerkt, dass neben der großen Preßanlage,
die Aufstellung mehrerer Pressen, Mühlen und Waschmaschinen
im Preßhause erfolgen konnte; dadurch ist den
Besuchern der Kurse die Möglichkeit geboten, auch
für kleinere und mittlere Betriebe entsprechende
Einrichtungen in Tätigkeit zu sehen.
Die
Herstellung des Mostes spielt sich etwa folgendermaßen
ab:
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Vom
Lagerraum gelangt das Obst in die Gosse der Waschmaschine,
wo durch einen besonderen Steinfang eventuelle Steinchen entfernt
werden, passiert dann die Trommel der Wasch-maschine und wird
schließlich durch den Elevator zurück auf den Lagerraum
in die Obstmahlmühle befördert. Von der Obstmahlmühle,
welche vom Preßhaus aus sehr leicht zu feineren und
gröberen Mahlen gestellt werden kann, gelangt das gemahlene
Obst durch eine Rinne in den Preßkorb, wird hier geebnet
und sobald der Korb gefüllt ist, unter die Presse geschoben.
Nach dem Einschalten der Presspumpe kann ein zweiter Korb
gefüllt werden, um beim Fertigpressen ohne Zeitverlust
die Presse bedienen zu können. Nach dem ersten Pressen
wird der Korb mit den Trestern in einen Reißwolf, der
über den Elevator angeordnet ist, geworfen, abermals
durch den Elevator auf die Mühle befördert und ein
zweitesmal gemahlen und nun in die Anstellbottiche gefüllt.
In den Anstell-bottichen erhalten die Trester soviel Wasserzusatz,
daß das erste Produkt und der zweite Ablauf vermengt,
11 bis 12 Prozent Zucker aufweisen. Der Wasserzusatz beim
Anstellen läßt sich sehr be-quem durchführen,
da eigene Wasserarme mit besonderen messern eingeschaltet
sind. Nach 6 bis 12 Stunden Aufnehmenlassen, wird das zweite
Pressen durchgeführt. Nach diesem werden die Trester
in Bottiche gefüllt, mit schwachem Wasserzusatz versehen,
nach abermaligem Stehen von 6 bis 12 Stunden und zum zweitenmal
in der Stöcklimaschine abgepreßt und dieses Produkt,
welches je nach der Mostobst- sorte und nach der Höhe
des Wasserzusatzes beim Aufnehmenlassen noch 3 bis 5 Prozent
Zucker zeigt, zum ersten Aufnehmenlassen statt reinem Wasser
verwendet. Dieses Verfahren sichert eine vollständige
Ausbeute und gestattet eine wesentliche Verbesserung des gewonnenen
Produktes.
Ein
Gärkeller ist nicht vorgesehen, sondern es wird zur Zeit
der Gärung der ganze Keller, wenn nötig, elektrisch
geheizt. Es ist hier nicht der Raum über die Herstellung
des Obstweines und über die Behandlung desselben zu berichten,
sondern es soll nur in kurzen Zügen gezeigt werden, wie
eine moderne Mosterei in der heutigen Zeit zu arbeiten hat.
Es kann daher von den vielen kleinen Maschinen und Apparaturen,
auf die Bestimmung der einzelnen Bestandteile in Most- und
Obstwein nicht eingegangen werden. Wer sich interessiert,
hat Gelegenheit anläßlich der Kurse, die an der
Mosterei veranstaltet werden, sich selbst an diesen Arbeiten
zu beteiligen.
Um
die Errichtung der niederösterreichischen Landes-Musterobstmosterei
haben sich neben den Herrn Referenten Landesausschuß
Johann M a y e r, die Herren Abge-ordneten B a
u c h i n g e r , G r i m m , und
Z w e t z b a c h e r , sowie der Herr Bürgermeister
K r a u t w u r s t von Kilb besonders verdient gemacht.
Der Landesobst-bauverein für Niederösterreich hat
durch die Gewährung von Unterstützungen und kostenlose
Abgabe von Mostwagen an minderbemittelte Kursteilnehmer sowie
durch die Propagierung der Idee ein großes Verdienst.
Die Einrichtung erfolgte nach den fachlichen Entwürfen
des niederösterreichischen Landesobstbauinspektors Josef
L ö s c h n i g und nach bautechnischen Plänen
des Herrn Ingenieur S t e f l i c e k. Die Preßhaus-einrichtung
hat die Firma P h. M a y f a r t h & Co
nach den Plänen des Herrn Ingenieur K o c h w a
s s e r durchgeführt. Die Kellereinrichtungsgegenstände
wurden von der Firma Franz N e c h v i l e geliefert.
Ganz besondere Opfer für das Zustande-kommen des Unternehmens
hat jedoch der Besitzer selbst, Herr Anton S i r n i
n g e r , gebracht. Allen diesen gebührt voller Dank
der Interessenten!
Möge
nun der schmucke Bau der niederösterreichischen Landes-Musterobstmosterei
Kilb dem gesteckten Ziele zur Verbesserung der Obstmosterzeugung
beitragen, und möge er der gegenwärtigen Generation
zum Nutzen, der künftigen aber zum Beispiel der Eintracht,
des Gemeinwohles und des Fortschrittes dienen.
aktualisiert
am 7. August 2012
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