Inhaltsverzeichnis

Die Geschichte der Obstverarbeitung in Kilb

Die Baumschule Sirninger

Sirningers Mostbirne

Die Wiederentdeckung
einer Rarität

Die Landes-Musterobst-
mostereien in NÖ

1. Landes-Obstmosterei Abetzberg, Aschbach Markt

2. Landes-Obstmosterei Watzelsdorf, Neidling

3. Erste Waldviertler Obstmosterei Walkenstein, Sigmundsherberg

4. Landes-Obstmosterei Wagenreith, Sonntagberg

5. Landes-Obstmosterei, Zwettl

6. Landes-Obstmosterei,
Kilb

7. Mosterei der landwi. Genossenschaft Waidhofen/Thaya

8. Mosterei der NÖ Landes-Landwirtschaftskammer
in Zitzhof

6. NÖ Landes-Musterobstmosterei in Kilb
Im Gegensatz zu den anderen Landes Musterobstmostereien gibt es über den Umfang der am 21. Oktober 1913 in Kilb eröffneten Musterobstmosterei einige Informationen.  Bereits im Jahr 1907 begann Anton Sirninger mit der Produktion von Apfelchampagner (Kohlenberg-Sekt). Im Jahr 1925 wurde die Mosterei um eine "Beispiels-Kleinbrennerei" erweitert. Einige Zeitzeugen (bzw. deren Nachkommen) können sich daran erinnern, dass in der Mosterei eine Obstverarbeitung in großem Stil betrieben wurde. An die Obstanlieferung per Bahn, die Verarbeitung von aus dem Ausland importierten Zwetschken und die Lieferung der verarbeiteten Produkte in großen Gebinden nach Wien können sich noch einige aus Erzählungen ihrer Eltern erinnern (Walter Sirninger, dessen Vater als Brennmeister in der Mosterei tätig war und aus Erzählungen weiß, dass im Dezember für etwa 4 Wochen Zwetschkenschnaps gebrannt wurde; er selbst hat - ebenso wie Fritz Janker - noch einen der letzten Obstbaukurse Mitte der 60´ er Jahre in der Mosterei besucht; Leopold Wagner, der als Malergeselle noch große Vorräte an Schnäpsen gesichtet hatte; Josef Kasser, der als Bub das 250 hl Zementfass reinigen musste, das nur durch eine kleine Öffnung an der Vorderseite betreten werden konnte).
Mustermosterei in Kilb

Eine Obstlagerkapazität von etwa 80.000 kg am Dach-boden der Mosterei, eine tägliche  Obstverarbeitungs-kapazität von etwa 10.000 kg Obst und eine Mostlager-kapazität von insge- samt 1000 hl im Keller weisen auf enorme Verarbeitungsmengen hin.
Eine genaue Beschreibung der NÖ Landes-Musterobst- mosterei enthält die Zeitschrift für die Gesamtinteressen des Obstbaues „Der Obstzüchter“, herausgegeben und redigiert von Josef Löschnig, Jahrgang XII vom
10. Juni 1914:

NÖ Landes-Musterobstmosterei in Kilb (Originaltext):


"In Würdigung der großen wirtschaftlichen Bedeutung der Obstweinerzeugung und in Anerkennung der Notwendigkeit zur Verbesserung in der Herstellung und Behandlung des Obstmostes wurde mit Unterstützung des k.k. Ackerbauministeriums seitens des niederösterreichischen Landesaus-schusses im Sinne des Beschlusses des niederösterreichischen Landtages in Kilb eine große Landes- Musterobstmosterei errichtet und am 20. Oktober 1913 unter großer Beteiligung der Interessenten eröffnet. Die Landes-Musterobstmosterei Kilb ist auf denselben Prinzipien aufgebaut, wie die anderen derartigen Unternehmungen des Landes. Das Land hat mit Herrn Anton  S i r n i n- g e r, Baumschulbesitzer und Obstzüchter, einen Vertrag geschlossen, nach welchem sich dieser verpflichtet, bei der Herstellung und Behandlung, sowie beim Verkaufe des Obstweines genau den Weisungen der Fachorgane des Landes zu folgen, entsprechende Räumlichkeiten für Kurszwecke beizustellen, sodaß ein Musterbetrieb sowohl für Schulzwecke, als auch für größere Privat- und Handelsbetriebe vorgeführt werden kann. Seitens des Landes wurde die Preßhauseinrichtung im Werte von rund 15.000 Kronen Herrn   S i r n i n g e r  leihweise auf die Dauer des Vertrages beige-stellt und kann dann im Sinne der im Vertrage festgesetzten Bestimmungen von ihn abgelöst werden. Irgend einen Beitrag zur Her- stellung der Baulichkeiten oder dergleichen wurde Herrn
S i r n i n g e r  nicht gewährt. Die Baukosten der Mosterei betrugen etwas über 50.000, die der Einrichtung über 20.000 Kronen.

Die Landes-Musterobstmosterei in Kilb hat den Zweck, die Obstweinerzeugung in allen Teilen zu fördern und auf die ihr gebührende Stufe zu bringen. Durch den schulmäßigen Betrieb ist Gelegen-heit geboten, Kurse aller Art abzuhalten und so einen Kreis tüchtiger Mosterzeuger heranzubilden. Durch die Eröffnung eines größeren Handelsbetriebes können Absatzgebiete gesucht werden und es kann der Segen guter Obstjahre durch die Einlagerung großer Quantitäten auf die mageren Jahre verteilt werden. Ferner ist aber auch den Fachleuten Gelegenheit zu fachlicher Arbeit und Forschung geboten, wodurch ebenfalls die praktischen Betriebe Nutzen ziehen können.

Die Mosterei Kilb ist aufgrund der neuesten Erfahrungen gebaut und stellt infolgedessen einen modernen Mostereibetrieb dar, wie es in Österreich wenige geben dürfte. Entsprechend der Auf-stellung der Keltereimaschinen übereinander, sind die Preßhaus- und Kellerräumlichkeiten in drei Etagen gebaut. Unter dem Dache befindet sich der Obstlagerraum mit einem Fassungsvermögen von 8 Waggon Obst. Das Obst kann mit einem elektrisch betriebenen Aufzug bequem auf den Lagerraum gebracht werden. Das Preßhaus stellt einen 4 m hohen, 8 m breiten und 24 m langen lichten Raum dar und kann mit einem Wagen befahren werden. Unter dem Preßhause ist der Keller angelegt; derselbe ist 24 m lang 6 m breit und 3 m hoch. Im Vorkeller sind die verschiedenen Inventargegenstände aufbewahrt; außerdem ist hier der Faßdämpfer aufgestellt. Im Zwischenkeller ist ein Zementfaß mit 250 hl Fassungsraum aufgenommen; in den einem Nebenkeller befindet sich die Apfelschaum- weinbereitung. Wie der Grundriss, Fig. Nr. 35, zeigt, sind die Keltermaschinen in der Mitte des Preßhauses angeordnet und bestehen aus: einer hydraulischen Presse, die derart in den Boden versenkt und montiert ist, daß die auf den Schienen laufenden Preßkörbe unter die Presse geschoben und nach dem Pressen entfernt werden können.
Innenansicht Presshaus
Fig.34. Innenansicht des Preßhauses. 1. Hydraulische Presse,
2. Obstmahlmühle, 3. Gosse zum Befördern des Obstes vom Lagerraum in die Waschmaschine, 4. Rinne von der Mühle zur Presse, 5. Tresterzerkleinerungsmaschine, 6. Wasch-maschine, 
7. Anstell-bottiche, 8. Preßkörbe
In der Schienenanlage sind sechs Drehscheiben eingeschaltet, sodass für die Aufstellung einer zweiten Presse Raum geschaffen und die Bewegung der Preßkörbe nach allen Seiten möglich ist. Die  Presse  arbeitet mit einem Arbeitsdruck von 300 Atmosphären und einem spezifischen Druck von 12 kg per cm² Preßkorb-oberfläche. Der Antrieb erfolgt automatisch durch eine elektrisch betriebene Wasserpumpe, die derart konstruiert ist, daß sie bis 50 Atmosphären Arbeitsdruck schnelles und von da ab, sich selbst einschaltend, ein langsames, dafür aber ein stärkeres Pressen bis zu 300 Atmosphären
gestattet. Beim Erreichen des höchstzu-
lässigen Arbeitsdruckes schaltet sich die Pumpe selbst aus, um sich beim Nachlassen des Druckes jeder-zeit wieder einzuschalten. Durch diese Einrichtung wird selbsttätig ein gleichmäßig andauernder Druck erzielt. Die Presse vereinigt deshalb alle Vorteile der alten Baumpressen, die mit ihrem kontinuierlichen Drucke eine leichte Arbeitsweise besitzen und gestattet außerdem ein leichtes und schnelles Arbeiten. Die Höhe des Preß- wagens und -korbes zusammen beträgt nur 90 cm, wodurch das Füllen und Entleeren der Körbe sehr bequem durchgeführt werden kann. Das Pressen eines Korbes dauert 22 bis 25 Minuten. Die Ausbeute beim Pressen über diese Zeit hinaus ist derart gering, daß ein längeres Pressen nicht zweckmäßig erscheint. Die Leistungsfähigkeit der Presse beträgt rund einen Waggon Obst (10.000 kg) pro Tag, wobei ein zweimaliges Pressen gerechnet wird.
Grundriss Mosterei
Fig.35. Grundriß der NÖ Landes-Musterobstmosterei in Kilb
Ober der Presse an der Decke des Preßhauses befindet sich die  Obstmahlmühle. Dieselbe ist nach Frankfurter System angefertigt, und besteht aus zwei im Verhältnis 1 : 3 sich drehenden Mahlsteinen und einem darüber gelagerten Vorschneider. Je nach Bedarf wird das gemahlene Obst in die auf Schienen laufenden Preßkörbe nach rechts oder links geleitet.
Der  Elevator  ist ein Paternosterwerk und verbindet die Waschmaschine mit der Obst-
mahlmühle; hier wird das gewaschene Obst noch mit frischem Wasser abgebraust.

Die Waschmaschine besteht aus einer im Wasser sich drehenden Trommel mit mehreren hölzernen Schlagleisten. Das Obst wird entweder im Preßhause in die Waschmaschine gegeben oder es läuft durch eine schräge Rinne vom Lagerraum direkt zur Wäsche.
Die  Tresterstöcklimaschine  dient zur Verarbeitung der ausgepreßten Trestern und besteht aus einer Schnecke, die sich in einem Gehäuse dreht und die Trester zu einer dicken Wurst formt. Die Anstellbottiche zum Aufnehmenlassen der einmal ausgepreßten Trester laufen neben dem Preßwagen auf Schienen.
Der Fußboden des Preßraumes ist betoniert und nach einer bestimmten Seite geneigt, so daß ein Waschen desselben bequem durchgeführt werden kann.
Die Wasserversorgung erfolgt automatisch; im Keller eine elektrische Pumpe aufgestellt, die für das ganze Haus das Wasser direkt aus dem Brunnen ohne Wasserreservoir liefert. Als Antriebs-maschine für sämtliche Maschinen dient ein auf dem Boden aufgestellter Elektromotor von 8 HP.
Im Keller unter der Presse befindet sich ein großer Bottich, in welchem sich der von der Presse ablaufende Most sammelt und absetzt. Nach zehnstündigem Lagernlassen wird der obere Teil gesondert von dem unteren, in die Fässer gezogen und solcherart ein mildes weinähnliches Produkt erzielt. 
Der Keller wurde von Herrn  S i r n i n g e r  neu eingerichtet und mit Fässern von 10 bis 50 hl belegt. Der Fassungsraum des ganzen Kellers beträgt samt Zementfaß 1000 hl.
Längsschnitte der Mosterei
Fig.36. Längsschnitt durch die NÖ Landes-Musterobstmosterei in Kilb. 1. Elektromotor, 2. Transmissionswelle, 3. Waschmaschine, 4. Elevator,
5. Obstmahlmühle, 6. Rinne von der Obstmühle zum Preßkorbe, 7. Hydraulische Presse, 8. Sammeltrichter,
9. Abfluß von der Presse in den Keller, 10. Tresterzer-zerkleinerungsmaschine, 11. Preßpumpe, 12. Rinne für
das Obst; neben der Tür Tresterstöcklimaschine.
Im Hochparterre ist ein geräumiges Kurszimmer mit allem zur Unterrichtserteilung notwendigen Lehrbehelfen eingerichtet.
Es sei noch bemerkt, dass neben der großen Preßanlage, die Aufstellung mehrerer Pressen, Mühlen und Waschmaschinen im Preßhause erfolgen konnte; dadurch ist den Besuchern der Kurse die Möglichkeit geboten, auch für kleinere und mittlere Betriebe entsprechende Einrichtungen in Tätigkeit zu sehen.

Die Herstellung des Mostes spielt sich etwa folgendermaßen ab:

Vom Lagerraum gelangt das Obst in die Gosse der Waschmaschine, wo durch einen besonderen Steinfang eventuelle Steinchen entfernt werden, passiert dann die Trommel der Wasch-maschine und wird schließlich durch den Elevator zurück auf den Lagerraum in die Obstmahlmühle befördert. Von der Obstmahlmühle, welche vom Preßhaus aus sehr leicht zu feineren und gröberen Mahlen gestellt werden kann, gelangt das gemahlene Obst durch eine Rinne in den Preßkorb, wird hier geebnet und sobald der Korb gefüllt ist, unter die Presse geschoben. Nach dem Einschalten der Presspumpe kann ein zweiter Korb gefüllt werden, um beim Fertigpressen ohne Zeitverlust die Presse bedienen zu können. Nach dem ersten Pressen wird der Korb mit den Trestern in einen Reißwolf, der über den Elevator angeordnet ist, geworfen, abermals durch den Elevator auf die Mühle befördert und ein zweitesmal gemahlen und nun in die Anstellbottiche gefüllt. In den Anstell-bottichen erhalten die Trester soviel Wasserzusatz, daß das erste Produkt und der zweite Ablauf vermengt, 11 bis 12 Prozent Zucker aufweisen. Der Wasserzusatz beim Anstellen läßt sich sehr be-quem durchführen, da eigene Wasserarme mit besonderen messern eingeschaltet sind. Nach 6 bis 12 Stunden Aufnehmenlassen, wird das zweite Pressen durchgeführt. Nach diesem werden die Trester in Bottiche gefüllt, mit schwachem Wasserzusatz versehen, nach abermaligem Stehen von 6 bis 12 Stunden und zum zweitenmal in der Stöcklimaschine abgepreßt und dieses Produkt, welches je nach der Mostobst- sorte und nach der Höhe des Wasserzusatzes beim Aufnehmenlassen noch 3 bis 5 Prozent Zucker zeigt, zum ersten Aufnehmenlassen statt reinem Wasser verwendet. Dieses Verfahren sichert eine vollständige Ausbeute und gestattet eine wesentliche Verbesserung des gewonnenen Produktes.

Ein Gärkeller ist nicht vorgesehen, sondern es wird zur Zeit der Gärung der ganze Keller, wenn nötig, elektrisch geheizt. Es ist hier nicht der Raum über die Herstellung des Obstweines und über die Behandlung desselben zu berichten, sondern es soll nur in kurzen Zügen gezeigt werden, wie eine moderne Mosterei in der heutigen Zeit zu arbeiten hat. Es kann daher von den vielen kleinen Maschinen und Apparaturen, auf die Bestimmung der einzelnen Bestandteile in Most- und Obstwein nicht eingegangen werden. Wer sich interessiert, hat Gelegenheit anläßlich der Kurse, die an der Mosterei veranstaltet werden, sich selbst an diesen Arbeiten zu beteiligen.

Um die Errichtung der niederösterreichischen Landes-Musterobstmosterei haben sich neben den Herrn Referenten Landesausschuß Johann  M a y e r,  die Herren Abge-ordneten B a u  c h i n g e r ,  G r i m m ,  und  Z w e t z b a c h e r ,  sowie der Herr Bürgermeister K r a u t w u r s t  von Kilb besonders verdient gemacht. Der Landesobst-bauverein für Niederösterreich hat durch die Gewährung von Unterstützungen und kostenlose Abgabe von Mostwagen an minderbemittelte Kursteilnehmer sowie durch die Propagierung der Idee ein großes Verdienst. Die Einrichtung erfolgte nach den fachlichen Entwürfen des niederösterreichischen Landesobstbauinspektors Josef  L ö s c h n i g  und nach bautechnischen Plänen des Herrn Ingenieur  S t e f l i c e k.  Die Preßhaus-einrichtung hat die Firma P h. M a y f a r t h  &  Co  nach den Plänen des Herrn Ingenieur  K o c h w a s s e r  durchgeführt. Die Kellereinrichtungsgegenstände wurden von der Firma Franz  N e c h v i l e  geliefert. Ganz besondere Opfer für das Zustande-kommen des Unternehmens hat jedoch der Besitzer selbst, Herr Anton  S i r n i n g e r , gebracht. Allen diesen gebührt voller Dank der Interessenten!

Möge nun der schmucke Bau der niederösterreichischen Landes-Musterobstmosterei Kilb dem gesteckten Ziele zur Verbesserung der Obstmosterzeugung beitragen, und möge er der gegenwärtigen Generation zum Nutzen, der künftigen aber zum Beispiel der Eintracht, des Gemeinwohles und des Fortschrittes dienen.
Keller der Mosterei Kursteilnehmer

aktualisiert am 7. August 2012